„Es ist nicht das erste Mal, dass ich das Evin-Gefängnis von Innen erlebe. Das erste Mal war ich als Reporterin hier. Als ich, begleitet vom Gefängnisdirektor die Zellen besichtigen durfte, äußerten sich die inhaftierten Frauen zufrieden mit ihrer Lage. Doch beim Verlassen des Gefängnisses steckte mir eine Frau heimlich einen Zettel in die Tasche. ‚Rettet uns, wir sind hilflos dem Gefängnispersonal ausgeliefert.’
Dieses Mal sitze ich selbst als Gefangene hier und teile eine Zelle mit dreißig Frauen, die alle Opfer des Mangels an Gleichberechtigung sind.“
Diese Zeilen stammen von der Journalistin und Frauenaktivistin Maryam Hosseinkhah. Sie wird beschuldigt, Aufruhr gestiftet und Unwahrheiten verbreitet zu haben. Seit über einem
Monat sitzt sie in Untersuchungshaft. Proteste gegen ihre Festnahme zwangen die Justiz, nachzugeben und ihrer Freilassung bis zum Gerichtsurteil zuzustimmen.
Dafür fordert sie jedoch eine Kaution von 100 Millionen Tuman (umgerechnet etwa 100.000 Euro), eine für iranische Verhältnisse ungeheuer hohe Summe, die für Maryam, ihre Familie
und Freunde unbezahlbar ist. Deshalb sitzt sie immer noch in Haft.
Maryam ist eine unter den zahlreichen Frauenaktivistinnen, die an einer großangelegten Kampagne für leichberechtigung
beteiligt sind. Sie gehen von Haus zu Haus, sprechen auf den Straßen die Passanten an, gehen zu Redaktionen, Ämtern und Fabriken. Ihr Ziel ist, eine Million Unterschriften zu sammeln. Die Aktion hatte vor fast zwei Jahren in Teheran begonnen und hat sich inzwischen im ganzen Land verbreitet. Im Juni 2006 kam es zu einer Kundgebung vor dem Justizministerium in Teheran, an der etwa hundert Frauen teilnahmen. Ordnungskräfte und Revolutionswächter griffen gewaltsam ein,
verletzten zahlreiche Frauen und nahmen einige Kundgebungsteilnehmer vorübergehend fest, darunter auch Maryam Hosseinkhah.
Einige der damals Festgenommenen sind inzwischen zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Delaram Ali zum Beispiel erhielt zwei Jahre und vier Monate. Ihre Anwältin, Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi, hat gegen das Urteil protestiert, unter anderem, weil sie zur Gerichtsverhandlung nicht geladen und nicht einmal von dem Urteil in Kenntnis gesetzt worden war.
Seit der Machtübernahme von Präsident Mahmud Ahmadinedschad nehmen Repressionen im Iran ständig zu, nicht nur gegen Kritiker und Andersdenkende, sondern auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten oder zum Beispiel gegen Lehrer, die höhere Tarife oder
Busfahrer, die eine eigene Gewerkschaft verlangen. Doch es scheint, dass das Regime auf die Aktionen der Frauen besonders empfindlich reagiert.
Denn die Forderungen der Frauen nach gleichem Scheidungsrecht, Sorgerecht, Erbrecht und dergleichen mehr treffen die Substanz des islamischen Gottesstaates.
Zudem lassen sich Millionen Frauen für diese Forderungen mobilisieren. Das harte Vorgehen gegen Frauenrechtlerinnen dient offenbar zur Einschüchterung. Dafür ist es jedoch längst zu spät. Denn Frauen bilden seit Jahren schon das Rückgrad der iranischen Zivilgesellschaft. Ihrem mutigen Einsatz ist es in erster Linie zu verdanken, dass die Radikalislamisten trotz brutaler Gewalt ihre Basis im Volk immer mehr verlieren und ihre Ziele in der breiten Bevölkerung niemals durchsetzen konnten.
——————————————————————————–
Aus: Iran-Report Nr. 12/2007, 6. Jahrgang- Heinrich Böll Stiftung