Monireh Kazemi: Verfolgt die Regierung und schließlich auch das Regime bei der Verabschiedung eines solchen Gesetzes eine bestimmte Politik? Oder sind die Gründe auf dessen patriarchalisches und ideologisches Wesen zurückzuführen?
Ayda Saadat: Die Regierung und insgesamt das Herrschaftssystem haben in den letzten Jahren immer wieder Schritte unternommen, die deutlich zeigen, dass sie keineswegs eine Verbesserung der Lage der Frauen befürworten. Im Gegenteil verschärfen sie ihre frauenfeindliche Haltung, indem sie neue Gesetze verabschieden. Sie haben die Immatrikulation der Frauen an Universitäten erschwert. Zudem haben sie einen Plan der sozialen Sicherheit und weitere Vorschriften für die Kleidung der Frauen durchgesetzt.
Mit dieser Gesetzesvorlage zeigen sie nun, dass sie im Gegensatz zu ihren Behauptungen nicht nur nichts für die Verbesserung der Lage der Frauen unternommen haben, sondern sie betrachten die Frauen als ihr Eigentum und pochen dabei auf ihre traditionelle Sichtweise und ihre männlichen Ideologien. Diese Männer geben sich die grenzenlose Legitimität, um ihrem Recht auf Frauen als ihrem Eigentum einen gesetzlichen Charakter zu verleihen. Diese Gesetzesvorlage ist zwar oft von verschiedenen Seiten kritisiert worden, aber die Majlessmitglieder, die die Vertreter der Bevölkerung sein wollen, hören nicht auf ihre Worte. Sie setzen ihre eigene Politik fort, die die weitere Verbreitung der Polygamie für Männer und viele gesetzliche Rückschritte für Frauen beinhaltet. Der Artikel 23 dieser Gesetzesvorlage in der Fassung, in der sie der Regierung vorgelegt wurde, sieht vor, dass die Zustimmung der ersten Frau für die erneute Heirat des Mannes mit der zweiten, dritten und vierten Frau nicht mehr nötig ist. Wenn der Mann nachweisen kann, dass er bestimmte finanzielle Voraussetzungen erfüllt, bekommt er das gesetzliche Recht zur Polygamie. Ohne Zweifel wird dies das ohnehin kaum vorhandene Recht der Frauen verschlechtern und einen weiteren Rückschritt in der Gesetzgebung bedeuten. Die gegenwärtigen sozialen Bedingungen sind so, dass die Mehrheit der Männer Polygamie nicht nötig haben. Junge Männer haben sogar große wirtschaftliche Probleme selbst eine Frau zu heiraten, daher ist die Diskussion über Polygamie überflüssig. Die Verabschiedung eines solchen Gesetzes bedeutet nicht nur eine Verschlechterung der ohnehin mit wenigen Rechten ausgestatteten Lage der Frauen, sondern auch eine Erniedrigung für Männer.
Monireh Kazemi: In Artikel 25 dieser Gesetzesvorlage ist die nicht nachvollziehbare Rede von einem über dem bisherigen Durchschnitt liegenden Brautgeld . Im Verhältnis zu Lage der Ehepaare und der wirtschaftlichen Lage im Land soll das Brautgeld mehr werden und im Zuge der Hochzeit sollen höhere Steuern an den Staat bezahlt werden. Können Sie diesbezüglich einige Erläuterungen geben und darlegen, worum es sich hier handelt und welche Nachteile dieser Artikel für Frauen mit sich bringt?
Ayda Saadat: In Artikel 25 dieser Gesetzesvorlage ist festgeschrieben, dass ein hohes Brautgeld der Frauen versteuert wird. Eine Steuer, die direkt mit der Eheschließung bezahlt werden muss. Nun ist die Frage, wer das Brautgeld gibt und wer es erhält. Ein hohes Brautgeld garantiert der Frau mitnichten eine höhere Sicherheit. Das einzige finanzielle Recht der Frauen ist im Heiratsgesetz festgelegt, das stets Probleme im gemeinsamen Leben schafft. Wie es in dem Sprichwort in Bezug auf Frauen heißt:„Meine Liebe ist erlaubt und mein Leben frei.“ D.h. der Gesetzgeber zwingt die Frau ein Brautgeld zu zahlen als Gegenleistung für ein Brautgeld, das ihr weder garantiert gegeben wird noch ihr ihr eine wirkliche Sicherheit gibt. Wenn wir uns die steigende Zahl der Scheidungen, bei denen beide Seiten einverstanden sind, anschauen und die Lage der Frauen in den Gerichten betrachten, sehen wir, dass die Frauen in der Regel ihr Brautgeld dem Mann schenken, um den Mann zur Scheidung zu überreden. D.h. das Verschenken des Brautgeldes ist eine Art Tribut, den die Frau zahlt, um die Zustimmung der Frau für eine Scheidung zu bekommen. Die Verhältnisse sind so, weil die engen Gesetze die Interessen der einsamen Frauen in den Familiengerichten nicht berücksichtigen. Die Tatsache, dass ein hohes Brautgeld so gebräuchlich ist, ist auf die Unsicherheit der Mädchen und ihre Familien zurückzuführen, die ernsthaft einen Schadensersatz haben wollen. Aber Brautgeld ist ja kein wirkliches Einkommen oder kein objektiver Besitz für die Frau, wofür sie Steuer bezahlen soll. Es ist nur ein Recht, das der Frau gegeben wird, damit im Falle von Schwierigkeiten im gemeinsamen Leben ein wenig finanzielle Sicherheit für die Frau existiert. Eine Frau, die unter bestimmten Voraussetzungen gezwungen ist sich scheiden zu lassen, braucht ein Minimum von Sicherheit. In anderen Ländern wird der Besitz, der infolge des gemeinsamen Lebens zustande gekommen ist, gleichmäßig aufgeteilt. Aber im Iran bedeutet Scheidung große Probleme für die Frauen. Ein Gesetz, das die Frauen zwingt Steuern zu zahlen, wenn sie Brautgeld bekommt, ist eine eigenartige Angelegenheit. Diese Regelung soll die Rechte der Männer erweitern und die Gesetze, die Frauen betreffen, schwächen.
Monireh Kazemi: Gehen Sie davon aus, dass gegen die Aktivistinnen der Frauenbewegung einheitliche staatliche Maßnahmen geplant sind, beispielsweise, wenn wir den Plan zur sozialen Sicherheit betrachten?
Ayda Saadat: Es ist sicherlich so. Und dies trifft auf alle Dimensionen zu. Ein traditioneller Blick, der die Frau nur instrumentalisiert. Der traditionelle Mann geht davon aus, dass die Frau ein Wesen ist, das die geringsten Rechte im Gesetz und in der Gesellschaft haben darf und dem Mann dienen muss. Diese Ziele werden in verschiedenen Formen in den staatlichen Medien, wie Seda Wa Sima [Staatliches Radio und Fernsehen] verbreitet. Das Modell, das propagiert wird, ist die bekannte Vorstellung von der ihren „Kopf zum Boden neigenden und gehorsamen Frau“ und der „freigiebigen Mutter“. Die Frauen der iranischen Gesellschaft haben mit ihrem Eintritt in jegliche Sphäre ihre Fähigkeiten und Potentiale bewiesen. Und wenn Gesetze erlassen werden, um die sozialen Verhältnisse zu verbessern, müssen diese auch den Bedingungen und den Bedürfnissen der Frauen angepasst sein. Die gegenwärtigen Gesetze sind den iranischen Frauen nicht würdig. Die Regierungen packen regelmäßig erniedrigende Pläne aus ihren Westentaschen aus, um die Rechte der Frauen zu verletzen. Pläne, die nichts mit den gegenwärtigen Bedürfnissen der iranischen Frauen zu tun haben. Die harten Gesetze gegen die Aktivistinnen der iranischen Frauenbewegung gehören zu den die Geschichte aufhaltenden Mechanismen. Der steigende Druck auf die iranische Frauenbewegung hat sie keineswegs isoliert. Im Gegenteil wurde die Rechtmäßigkeit ihrer Bewegung in der Öffentlichkeit bewiesen. Und die Rechtmäßigkeit des Kampfes der Aktivistinnen bedeutet auch die Rechtmäßigkeit ihrer deutlich formulierten Forderungen. Die Aktivistinnen haben deutlich gemacht, dass sie sogar unter den schlimmsten Bedingungen, in einer Zeit, in der sie unter permanentem Sicherheitsdruck ein zerbrechliches Leben führen müssen, ihren Kampf nicht aufgeben und entschlossen ihre Aktivitäten fortsetzen.
Monireh Kazemi: Welche Artikel dieser Gesetzesvorlage widersprechen noch den Rechten der Frauen?
Ayda Saadat: Es gibt viele Stellen, die in dieser Gesetzesvorlage kritisiert werden können. Infolge des Artikel 22 sollen Zeitehen erleichtert werden. Die Männer müssen ihre Zeitehen nicht mehr anmelden, so dass die Abwechselung für die Männer größer werden soll, ohne dass die Frauen es merken sollen. Auch der Artikel 44 wird heftig kritisiert. Demnach muss eine Heirat nicht mehr so streng angemeldet werden. Gefängnisstrafen sollen in Geldstrafen zwischen rund 1400 bis 7000 Euro verwandelt werden. Laut Artikel 48 verliert die Frau eine Garantie für das Erziehungsrecht ihrer Kinder. Und wenn der Mann die Frau an der Ausübung ihres gegebenenfalls zugestandenen Erziehungsrechts verhindert, muss er nur noch Geldstrafen zahlen und braucht nicht mehr mit Gefängnisstrafen zu rechnen. Auch in dem Fall wird eindeutig das Recht der Frauen verletzt. In Artikel 25 der Gesetzesvorlage wird das Scheidungsrecht der Frauen viel komplizierter und schwieriger.
Monireh Kazemi: Müssen die Forderungen einer säkularisierten Gesellschaft Ihrer Meinung nach, nicht noch deutlicher, farbiger und allgemeiner formuliert werden?
Ayda Saadat: Natürlich ist der beste Weg, um die Verabschiedung einer solchen Gesetzesvorlage zu verhindern der gesellschaftliche Widerstand. Eine Gesellschaft, die keine erniedrigenden Gesetze haben will, muss ihren Widerspruch weitgehend kundtun. Große Teile der Gesellschaft wissen immer noch nicht, was hier geschieht. Daher tragen diejenigen die Verantwortung und die Aufgabe der Information und Aufklärung der Bevölkerung, die eine Tribüne dafür haben und in der Lage sind bestimmte Bevölkerungsteile zu informieren.
Monireh Kazemi: Was habt ihr bisher gegen diese Gesetzesvorlage unternommen?
Ayda Saadat: Seit der Formulierung dieser Gesetzesvorlage haben die Aktivistinnen der Frauenbewegung so weit wie möglich ihren Protest kundgetan. Viele Maßnahmen wurden unternommen. Es fanden Diskussionen mit Vertretern des vorherigen und gegenwärtigen Majless statt. Die Frauen haben ihre Auflehnung gegen diese frauenfeindliche Gesetzesvorlage bekannt gegeben. Kritische Treffen, auf denen diese Gesetzesvorlage aus verschiedenen soziologischen, kulturellen, psychologischen und rechtlichen Perspektiven kritisiert wurde, haben stattgefunden. Die Ergebnisse dieser Treffen wurden dokumentiert. Ferner sind einige Frauen in persönlichen Gesprächen darüber informiert worden.
Monireh Kazemi: Was wollt ihr noch bis zum Termin der Diskussionen im Majless unternehmen?
Ayda Saadat: Sicherlich werden die Proteste so lange andauern, bis die Diskussion über diese Gesetzesvorlage im Majless verhindert wird. Verschiedene Gruppen von Frauen haben einige Aktivitäten gestartet und haben bewiesen, dass sie gemeinsame Ziele verfolgen, auch wenn sie sich mit unterschiedlichen Methoden dafür einsetzen. Verschiedene Programme, die die Solidarität der Frauen untereinander beweisen, haben längst begonnen und werden fortgesetzt.
Monireh Kazemi: Welche Rolle spielen Ihrer Meinung nach die Aktivistinnen des Exils?
Ayda Saadat: Sie sollen ihre Unterstützung fortsetzen und ihre Solidarität mit den iranischen Aktivisten, die gegen diese Gesetzesvorlage kämpfen, kundtun. Sie sollen Position beziehen gegen solche Steinzeit-Gesetze, die die Herrschenden im Iran durchsetzen wollen. Sie sollen Initiativen ergreifen, die ihren Möglichkeiten im Exil entsprechen. Glücklicherweise beobachten wir aktive Maßnahmen der Aktivisten im Exil, aber die unternommenen Schritte müssen fortgesetzt werden. Die wichtigste Aufgabe ist die Informierung und Aufklärung der Gesellschaft.
Monireh Kazemi: Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen viel Erfolg.