Die andere Hälfte: Iranische Frauen und ihre Bewegung für Freiheit und Emanzipation

Die Situation der Frauen im Iran wirft viele Fragen auf und sorgt stets für Überraschungen. Ein Blick auf ihre Lage macht immense Widersprüche deutlich.

Seitdem die islamischen Fundamentalisten im Jahre 1979 an die Macht kamen, leben die iranischen Frauen unter dem Scharia-Gesetz. Dessen Vorschriften benachteiligen Frauen massiv: Die Männer haben ein Recht auf Polygamie und dürfen sich, wann sie wollen, von ihren Frauen scheiden lassen. Das Heiratsalter für Frauen wurde von 18 auf 13 Jahre herabgesetzt, so dass der Weg für den sexuellen Missbrauch von Mädchen offen steht. Laut Gesetz muss die Frau den Mann um Erlaubnis fragen, ob sie arbeiten oder reisen darf. Frauen dürfen auf gemischtgeschlechtlichen Veranstaltungen nicht tanzen. Mütter verfügen über das Erziehungsrecht ihrer Kinder nur, bis diese 7 Jahre alt sind. Die Vormundschaft über die Kinder haben automatisch die Väter, die Mutter dürfen sich also nicht direkt in wichtige Lebensfragen ihrer Kinder wie medizinische Versorgung, Studium oder finanzielle Probleme einmischen. Schon diese wenigen Zeilen geben einen Einblick in die miserable rechtliche Lage der Frau.
Zur soziale Lage der Frauen: 62 Prozent derer, die im Jahr 2003 die Zugangsprüfung zu den Universitäten bestanden, sind Frauen. Das Regime will die Studienplätze anteilig nach Geschlecht vergeben. Nach der Statistik des Jahres 1996 sind rund 75 Prozent der Mädchen und Frauen über sechs Jahre alphabetisiert. Die Zahl der Kinder bei iranischen Frauen sank von durchschnittlich fünf bis sechs im Jahr 1980 auf zwei bis drei Kinder im Jahr 2003. Es kann ferner nicht geleugnet werden, dass gebildete Frauen in verschiedenen Berufen sowie in kulturellen und künstlerischen Gebieten arbeiten.

All dies wirft Frage auf, warum die soziale Wirklichkeit der iranischen Frauen so stark im Widerspruch zu ihrer politischen und rechtlichen Lage steht. Damit entsteht auch eine weitere unvermeidbare Frage: Welche Rolle spielen die Frauen bei der Erreichung ihrer Rechte? Um dies zu beantworten, müssen wir einen Blick auf die Geschichte der Kämpfe iranischer Frauen werfen.

Im Lichte der Geschichte

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bereitete eine konstitutionelle Revolution (1906-1911) der absolutistischen Monarchie ein Ende und legte die Grundsteine zur Errichtung eines Parlaments, einer Verfassung und der Gewaltenteilung. Schon in dieser Revolution forderten islamistische Kräfte, die Scharia zur verbindlichen gesetzlichen Grundlage der Rechtssprechung zu machen, und bildeten eine Opposition gegenüber den Konstitutionalisten. Eines der propagandistischen Themen der Islamisten in dieser Zeit war die Ablehnung der Frauenrechte, mit der Begründung des Schutzes von Heiligtümern und Traditionen. Es kann zwar nicht behauptet werden, dass die Konstitutionalisten frauenrechtliche Parolen ausriefen, aber zumindest die fortschrittlichsten Kräfte dieser Bewegung verteidigten die Frauenrechte.

Die Historikerin Janet Afari [1] führt die Entstehung der iranischen Frauenbewegung hauptsächlich auf die konstitutionelle Monarchie zurück und betont dabei die fortschrittliche Rolle der Frauen in dieser Zeit. Frauen, die meist der Oberschicht angehörten, organisierten sich unabhängig von der Regierungspolitik in häuslichen Versammlungen, in Vereinen und zivilgesellschaftlichen, pädagogischen und medizinischen Institutionen. Die Zahl dieser aktiven Frauen war zwar gering, aber sie konnten wichtige Veränderungen insbesondere im Leben der Frauen in den Städten bewirken. Die feministischen Forderungen wurden aber in der konstitutionellen Revolution nicht umgesetzt. Frauen galten in der aus ihr hervorgegangenen Gesetzgebung als schwache und isolierte Individuen. Die Frauenrechtsbewegung, die durchaus bekannte Persönlichkeiten besaß und klare Forderungen aufstellte, konnte sich auch gesellschaftlich nicht durchsetzen.

Zerstückelte Modernität

In der Periode der monarchischen Pahlavi-Dynastie (1926-1979) bekamen die Frauen mehr Chancen bei der Ausbildung und bei der Erlangung von Arbeit in den Städten. Ende der 1970er Jahre waren etwa 30 Prozent der Studierenden weiblich, und Frauen waren in verschiedenen Berufen tätig. In den letzten Dekaden vor der Islamischen Revolution schwankte der Prozentsatz der Frauenbeschäftigung zwischen 9 bis 13 Prozent. Bis heute sind diese Prozentzahlen gleich geblieben, auch wenn die städtische Bevölkerung gewachsen ist und die Anzahl der Studentinnen gestiegen ist. Im Zuge der Reformierung des Wahlrechts unter den Pahlavis bekamen die Frauen 1963 das Wahlrecht zugesprochen. 22 Frauen waren im Parlament und zwei im Senat vertreten (während es heute im Parlament der Islamischen Republik nur 13 Frauen sind). Infolge eines neuen Familienschutzgesetzes wurden die Polygamie und das einseitige Recht auf Scheidung für Männer stark eingeschränkt. Das Heiratsalter wurde auf 18 angesetzt.

Aber die Diktatur der Schahs, insbesondere jene von Mohammad Reza Pahlavi ab 1953, die blühende Korruption und der Mangel an zivilgesellschaftlichen Aktivitäten verhinderten die Erweiterung der Reformpolitik, so dass es im Iran zur „zerstückelten Modernität“ kam. Die Politikwissenschaftlerin Eliz Sanasarian [2] zeigt in ihren Forschungsarbeiten den Niedergang der unabhängigen Frauenbewegung zu dieser Zeit auf. Zwar arbeiteten manche Feministinnen in staatlichen Frauenorganisationen, auch bemühten sich manche höhergestellte Frauen um die Reformierung der Gesetze zugunsten der Frauen. Aber angesichts des Mangels an politischen Freiheiten und zivilgesellschaftlichen Organisationen konnten Frauenorganisationen sich nicht entwickeln. Sanasarian erinnert daran, dass insbesondere in den Jahren 1951-53, als die politischen Freiheiten unter Premierminister Mossadegh noch relativ groß waren, feministische Parolen aufgrund der Abhängigkeit der Frauenbewegung von politischen Parteien zurückgedrängt wurden.
Unter dem Motto der „zerstückelten Modernität“ gibt es verschiedene Faktoren, die den Weg für die Ausbreitung der Utopie der „Islamischen Revolution“ von 1979 in der städtischen Gesellschaft bereiteten. Der erste wichtige Punkt war die dualistische Rolle der Religion: Einerseits die Präsenz oben in den herrschenden Machtorganen, anderseits unten in der Front der GegnerInnen der Macht. Der Schah fürchtete die Freiheit der Parteien, Syndikaten und Vereinigungen, hatte aber der Ausbreitung von Moscheen und islamischen Propagandainstitutionen nichts entgegen zu setzen. Die westlichen Mächte haben zudem im Klima des „Kalten Krieges“ und bei der Schaffung des „grünen Gürtels“ an den Grenzen der Sowjetunion die Ausbreitung des Islamismus unterstützt.

Die Verbreitung des Islamismus

Ein weiterer wichtiger Punkt zugunsten der Islamisierung war die stetig abnehmende Bedeutung von demokratischen und säkularen Werten bei den Kräften des Widerstandes gegen die Schah-Diktatur. Die meisten Anti-Schah-Kräfte – gleich ob links, rechts oder moderat orientiert – setzten stets den Westen und den Imperialismus gleich. Demokratische Werte spielten für sie keine Rolle. Sie versäumten zudem, der Ideologisierung der Religion mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Im Gegenteil waren sie mit der Ausweitung des politischen Islam als einflussreiche Waffe gegen den Schah und gegen den westlichen Imperialismus nicht unzufrieden.
Und schließlich gibt es noch ein Punkt, der nicht in Vergessenheit geraten darf: Zu Beginn der 1960er Jahre gründeten einige Nationalisten, die die parlamentarische Demokratie verfochten, die „Nehsate Azadi“ (Freiheitsbewegung). Diese Bewegung propagierte die fortschrittliche Rolle des politischen Islam und verbreitete zudem Begriffe wie „kämpferische Geistlichkeit“. Der Gründer dieser Gruppe, Mehdi Basargan, wurde nach der Revolution der erste Präsident der Islamischen Republik (verließ aber wegen Meinungsverschiedenheiten mit den radikalen Islamisten bald die Regierung).

Ali Schariati spielte ebenfalls herausragende Rolle bei der Verbreitung der Utopie einer islamischen Gesellschaft bei den modernen städtischen Mittelschichten, besonders unter StudentInnen. Schariati gehörte zu den jüngeren, intellektuellen Kräften der „Freiheitsbewegung“ und propagierte in den 1970er Jahren die „islamische Freiheit“. Er war bemüht, das Vorbild der idealen „muslimischen Frau“ zu präsentieren, die weder östlich noch westlich orientiert sei, sondern islamische Kultur darstellen sollte. Seine Lehre förderte insbesondere die Verbreitung des „militanten Hijab“ (Kopftuch) unter den zuvor unverschleierten Frauen.

Die Revolution von 1979

Viele Frauen beteiligten sich intensiv an der Revolution von 1979. Ihre Präsenz bei den Protesten und Demonstrationen war so eindeutig, dass Ayatollah Khomeini gezwungen war, ihnen anders als vorher zu begegnen. In den 1960er Jahren hatte Khomeini in seinen Ansprachen zu Männern den Hass auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau zum Ausdruck gebracht und die gesellschaftlichen Aktivitäten von Frauen als Grund des sozialen Verderbens dargestellt. Aber Ende der 1970er Jahre sprach er die Frauen direkt an und lobte ihre Teilnahme an der Revolution. Er sprach sogar von gleichen Rechten von Mann und Frau im Islam.

In Anbetracht der breiten Teilnahme von Frauen an der Revolution versuchten die Islamisten deren Bewegung zu kontrollieren und zu führen. Mit dieser Strategie mobilisierten sie die weiblichen Mitglieder der Hisbollah. Die Hisbollah-Frauen übernahmen sehr bald eine sichtbare Rolle im propagandistischen Netzwerk der Islamisten und bei der Bedrohung, Kontrolle und Unterdrückung der Gesellschaft. Sie organisierten sich in Komitees, islamischen Straßenvereinigungen, Schulen und Universitäten, staatlichen Verwaltungen, Fabriken und an anderen Orten. Zunächst agierten sie kaum gegenüber den nichtislamischen revolutionären Kräften, bei denen viele Frauen aktiv waren. Mittlerweile wurden jedoch bereits Tausende GegnerInnen des Khomeini-Regimes in den politischen Gefängnissen der Islamischen Republik gefoltert und hingerichtet. Die Zahl der Frauen unter ihnen war sehr groß. Parolen, die Freiheit, Gleichheit und Unabhängigkeit für Frauen forderten, fanden in diesem politischen Klima kaum Gehör.

Der Anteil der Frauen

Kaum waren die Islamisten an der Macht, forderte Ayatollah Khomeini am Abend vor dem Frauentag am 8. März 1979 die Frauen auf, bei der Arbeit einen „Hijab“ zu tragen. Am nächsten Tag riefen Tausende von Frauen in den Straßen von Teheran: „Wir haben nicht die Revolution gemacht, um in die Vergangenheit zurückzukehren.“ Eine weitere Parole der Frauen lautete: „Freiheit ist weder östlich noch westlich, Freiheit ist universell.“ Die bekannte US-amerikanische Feministin Kate Millet, die zu jener Zeit in Teheran war, um die dortige Frauenbewegung zu unterstützen, beschreibt diese erste Konfrontation der Frauen mit dem islamischen Regime in ihrem Buch „Im Iran“. [۳]

Der Kampf der Frauen wurde jedoch nicht von den nichtislamischen Kräften unterstützt. Sie hielten generell das Problem des Hijab im Verhältnis zu den Prioritäten der Revolution, die gerade zum Sturz des Schahregimes geführt hatte, für einen Nebenwiderspruch. Aber die nächsten Schritte der Islamischen Republik zeigten, dass die Frauendemonstrationen und ihre Parolen auf ein immer größeres Problem der iranischen Gesellschaft hinwiesen. Denn der Ruf Khomeinis nach Zwangverschleierung bedeutete nichts anderes als die Errichtung eines islamischen Regimes, das mit der Ideologisierung des Islam einen totalitären Charakter bekam.

Der Islam des Regimes wurde zu einem Werkzeug für die Legalisierung einer Reihe von Diskriminierungen. Einerseits wurde ein diskriminierendes Verhältnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen sichtbar, andererseits zwischen den Muslimen selbst, die unterschiedliche Interpretationen des Islam vertraten, aber auch unterschiedliche Positionen zur Rolle der Geschlechter hatten. Die Machthaber glaubten von sich, „die Beschützer der göttlichen Ordnung“ zu sein. In der Islamischen Republik haben die BürgerInnen kein Recht auf freie Wahlen oder darauf, frei gewählt zu werden. Die Gewährung von Rechten ist immer eine Frage ihrer Opposition zur herrschenden Macht. Opposition wird dabei als Kampf gegen Gott hingestellt. Auch Kriminelle werden als „Sünder“ verstanden und auf dieser Grundlage bestraft. Oppositionelle wie auch Kriminelle werden als Ursache für Schmutz und Dreck betrachtet, ihre Läuterung oder ihre Entfernung wird als Säuberung der Gesellschaft deklariert. Die staatliche Unterdrückung umfasst nicht nur das öffentliche, sondern auch das private Leben. [4] Besonders deutlich bekommen das die Frauen zu spüren: Die Scharia-Gesetze errichten eine Art geschlechtsspezifischer Apartheid. Die Zwangsverschleierung ist das Symbol dieses Systems.

Das Blühen des Feminismus im Exil

Der Prozess der Islamisierung der Gesellschaft fand nicht ohne Widerstand statt. Das Regime musste im ersten Jahrzehnt mit der Mobilisierung des „Volkes der Hisbollah“ alle GegnerInnen unterdrücken. Die Teile der Gesellschaft, die sich nicht mit der herrschenden Ideologie und Politik gemein machten, wurden zum Schweigen gezwungen. Auswanderung und Exil weiteten sich immer mehr aus. Es gibt keine genauen Statistiken, doch laut Schätzungen beträgt die Zahl der ExilantInnen etwa vier Millionen. Aufgrund der geschlechtsspezifischen Aggression des islamischen Regimes wurden die feministischen Aktivitäten unter den Exilantinnen schnell größer. Viele Exilantinnen bildeten Frauengruppen. Diskutiert wurde unter anderem, welchen Platz und welche Rechte die Frauen bei den kulturellen Aktivitäten und in den iranischen Medien im Ausland haben. Einige Frauen begannen mit dem Studium der Feminismusforschung. Feministische Zeitschriften wurden gegründet und regionale und internationale Seminare zum Gedankentausch organisiert. Forschungsarbeiten befassten sich unter anderem mit den Problemen der Exilantinnen und Migrantinnen bei Gruppen- und Vereinsaktivitäten.

Einen umfassenden Überblick über die feministischen Aktivitäten iranischer Frauen seit den 1980er Jahren lieferte Schahin Nawai 2007. [5] Sie beschrieb 162 Frauenvereinigungen in verschiedenen europäischen Staaten, in den USA, Australien und in Asien. Manche von ihnen hatten eine kurze Lebenszeit, andere sind bis heute aktiv. Ab 1984 erschien beispielsweise ein „kulturelles, soziales und politisches Frauen-Journal“ in London, das sich „Nimese Digar“ (Die andere Hälfte) nannte. Von dieser Zeitschrift erschienen bis 1992 insgesamt 17 Ausgaben. Eine andere, seit 1991 in Norwegen und Schweden erscheinende Zeitschrift heißt „Awaye San“ (Die Stimme der Frau“) [۶] Ein weiteres Beispiel für die andauernden feministischen Aktivitäten im Ausland ist die „Forschungsstiftung iranischer Frauen“. Sie wurde 1989 in den USA gegründet und führt jährlich ein Seminar in einem europäischen Land oder in den USA durch. [7] Die mehrsprachige Internetseite von Shabakeh ist ein anderes Beispiel. [8]
In inhaltlicher Hinsicht lässt sich feststellen, dass die iranischen Frauen im Ausland in ihrer Auseinandersetzung mit dem islamischen Regime immer stärker auf das Recht der Frauen auf Unabhängigkeit und auf die Frau als autonomes Individuum pochen. Die iranischen Feministinnen befassten sich mit Themen, die im Iran religiös und gesetzlich verboten sind, beispielsweise geschlechtsspezifische Freiheit, Frauenfeindlichkeit in der Religion und insbesondere im Islam, Homosexualität oder die Kritik des üblichen Patriarchalismus in den politischen Bewegungen und andere Probleme, die das Thema Geschlecht in der iranischen Gesellschaft betreffen. Die iranischen Exil-Feministinnen beteiligten sich aber auch an allgemeinen politischen Debatten der unabhängigen Frauenbewegung. All diese Tendenzen spiegeln sich auch in der literarischen Arbeit von Frauen im Exil wieder.

Aufkommender Feminismus im Iran

Im Iran selbst fanden diese Prozesse wegen der politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in anderen Formen statt. Die ersten Proteste gegen die Zwangsverschleierung wurden unterdrückt und rückwärts gewandte Gesetze erlassen. Sie gingen einher mit Angriffen auf Oppositionelle und der Verhaftung, Einkerkerung und Hinrichtung Tausender von ihnen. Mittels des Krieges gegen den Irak (1980-1988) konnte das islamische Regime seine Macht endgültig stabilisieren. Aber beim Versuch der Islamisierung der Gesellschaft fand das Regime auch viele Hindernisse vor. Beispiel Hijab: Der Widerstand der GegnerInnen der Zwangsverschleierung wurde zwar unterdrückt und die Frauen wurden gezwungen, eine Kopfbedeckung zu tragen. Aber von genau diesem Moment an wurde das „Bad-Hejabi“, das „schlechte Tragens“ von Kopfbedeckungen als Mittel des subtilen Widerstands, eines der gesellschaftspolitischen Probleme des islamischen Regimes, die es nicht lösen konnte. [9] Nichtreligiöse Frauengruppen begannen vor diesem Hintergrund, Diskussionen über Formen der Reformierung der religiösen Gesetze zur Verbesserung der Lage der Frauen zu führen.
Nach dem Ende des Krieges gegen den Irak und nach dem Tod Khomeinis 1989 wurde das tägliche Scheitern der Regierungspolitik auf dem Gebiet der Wirtschaft und Gesellschaft immer sichtbarer. Korruption führte zu mehr Armut und zum täglichen Anwachsen der Klassenunterschiede und der sozialen Probleme. Die Unzufriedenheit wuchs sogar unter dem „Volk der Hisbollah“, die Kluft zu den Machthabern wurde immer größer. Die Hoffnungen der Frauen, Männern und der Jugendlichen, die Freiheit, Wohlstand und Sicherheit wünschten, gerieten immer mehr in Widerspruch zum Programm der Islamisierung der Gesellschaft und zu den herrschenden Machtstrukturen. Zwar hatten in diesem Klima die Areligiösen nicht die Freiheit, sich zu äußern, aber viele versuchten durch kulturelle Aktivitäten – wie Übersetzungen, Veröffentlichungen von Büchern und der Herausgabe von Literaturzeitschriften – Diskussionen über Demokratie, Menschenrechte und Freiheit der Frauen zu führen. Schließlich begannen auch reformistische IslamistInnen solche Diskussionen zu führen.
Die Erfahrungen mit der Realität des Regimes führten dazu, dass die Meinungsunterschiede unter den islamistischen Frauen wuchsen und manche von ihnen sich gar vom Regime abkehrten. In diesem Klima entstand das Bedürfnis, Reformen der religiösen Gesetze in Zeitschriften zu diskutieren, weshalb einige Frauenzeitschriften gegründet wurden. Einige Feministinnen im Exil ließen sich von diesen Diskussionen inspirieren und veröffentlichten ihre Vorstellungen über den „islamischen Feminismus“. Die Meinungen solcher Feministinnen, die Zugang zur akademischen westlichen Welt hatten, gerieten unter den Einfluss kulturrelativistischer Theorien; sie beruhten auf Vorstellungen, die vom kulturellen Kampf gegen die westliche Herrschaft ausgingen. Diese Akademikerinnen beeinflussten sehr stark die Diskussionen über Islam und Frauenrechte im Westen, die wiederum in die islamischen Länder exportiert wurden.

Eine neue Generation

Die konkreten Erfahrungen im Iran führten letztlich zur entschiedenen Ablehnung dieses Phänomens des islamischen Feminismus. Die Reformierung der religiösen Scharia-Gesetze im Rahmen eines islamistischen Regimes blieb fruchtlos. Vor diesem Hintergrund entstand eine neue Generation von Feministinnen im Iran, um den Kampf für Gleichberechtigung fortzusetzen. 1997 wurde eine unabhängige feministische Zeitschrift gegründet, die von Nushin Ahmadi Khorassani geleitet wurde und in Anlehnung an das bekannte Buch von Simone de Beauvoir „Das zweite Geschlecht“ hieß. Diese Zeitschrift wurde im Jahr 2000 verboten. Daraufhin gründeten Nushin Ahmadi Khorassani, Parvin Ardalan und Firuse Mohajer eine neue feministische Zeitschrift.
Diese drei Frauen waren auch MitbegründerInnen der Kampagne „Eine Million Unterschriften für eine Änderung der diskriminierenden Gesetze“. Diese Kampagne wurde nach der Zerschlagung einiger Demonstrationen für Gleichberechtigung in den Jahren 2006 und 2007 von 54 Personen gegründet und hat heute im gesamten Iran etwa 500 UnterstützerInnen. Die VerteidigerInnen der Frauenrechte in Iran initiierten auch eine weitere Kampagne für den Kampf gegen Steinigungen.

Die feministischen Aktivistinnen im heutigen Iran, die ihren Kampf trotz des andauernden Drucks des Regimes fortführten, entwickelten neue Diskurse und Kampfmethoden. Eine davon ist die Verfolgung eines „legalen“ Kampfes gegen die geschlechtsspezifische Diskriminierung. Dabei wird auf internationale Vereinbarungen wie das internationale Abkommen über Menschenrechte und Gleichberechtigung von Mann und Frau verwiesen, die das Regime offiziell anerkennt.
Eine weitere Innovation ist die Arbeitsweise der „Kampagne eine Million Unterschriften zur Änderung der diskriminierenden Gesetze“. Ihr Ziel ist, das Bewusstsein der Bevölkerung und insbesondere der Frauen in Gesprächen zu steigern, während an verschiedenen Orten wie im Bus, auf der Straße oder am Arbeitsplatz Unterschriften gesammelt werden. Die AktivistInnen der Kampagne haben Broschüren über geschlechtsspezifische Diskriminierung produziert, die bei der Sammlung von Unterschriften verteilt werden. Die Nutzung des Internets führt ebenfalls dazu, dass der Kampf sich ausweitet und auch international größere Unterstützung bekommt. [10]

In den letzten Jahren wurden jedoch Dutzende AktivistInnen der Kampagne „Eine Million Unterschriften“ verhaftet. Mehr als vierzig wurden von den Gerichten des Regimes verurteilt. Sie mussten viel Geld als Kaution hinterlegen, um aus dem Gefängnis frei gelassen zu werden, nur um schließlich zum Schweigen gezwungen zu sein. Einige Aktivistinnen wie Hanna Abdi, Ronak Safarsadeh, Zeynab Baysidi, Fateme Goftari und Schahnas Qolami sind noch immer in Haft. Unterstützung erfahren die iranischen Stimmen der Freiheit und Gleichberechtigung durch MenschenrechtsaktivistInnen und iranische Feministinnen im Ausland. Zu nennen ist insbesondere das im April 2006 gegründete Projekt „iran women solidarity“. [۱۱]

Die AktivistInnen im Iran stehen nachwievor unter dem ungeheuren Druck des Regimes. Die Machthaber betrachten den Feminismus als moralische Abweichung und als Bedrohung für die psychische Sicherheit der Gesellschaft.

Anmerkungen:
-1) Janet Afary: The iranian constitutional Revolution, 1906-1911. Columbia University Press, New York 1996
-2) Eliz Sanasarian: The Women’s rights movement in Iran. Praeger, New York 1982
-3) Kate Millett: Im Iran. Reinbek 1982
-4) Chahla Chafiq: Le nouvel Homme islamiste. La prison politique en Iran. Félin, Paris 2002.
-5) Shahin Nawai: „Freiheit ist weder östlich noch westlich, sie ist universell“. Ein Blick auf die Aktivitäten der iranischen Frauen in der Diaspora (1979-2007), in der Zeitschrift Arash, Nummer 100, Oktober 2007 (www.arashmag.com), https://www.iran-women-solidarity.net/?p=141
-6) www.avayezan.org
-7) www.iwsf.org
-8) www.shabakeh.org
-9) Chahla Chafiq/ Farhad Khosrokhavar: Femmes sous le voile, face à la Loi islamique. Félin, Paris 1995
-10) www.we-change.org oder www.campaignforequality.info/english/
-11) www.iran-women-solidarity.net

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