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Wir Exil-Iranerinnen in Deutschland unterstützen den Kampf der Frauen im Iran gegen den Schleierzwang. Trotz aller Widrigkeiten und der drohenden Gefahr von Verhaftung und Folter kämpfen die Frauen dort für das Recht, über ihren Körper frei zu bestimmen! Der Zwangsschleier ist im Iran ein Symbol für die Geschlechtertrennung und Frauendiskriminierung. Menschenrechte gelten somit dort nicht für Frauen.
Auch von den Tausenden von Frauen, die seit geraumer Zeit öffentlich gegen die Zwangsverschleierung protestieren wissen wir, dass sie von Repressalien bedroht sind. Einige von ihnen wurden bereits verhaftet. Trotzdem geben sie ihren Widerstand nicht auf. Wir bewundern den Mut dieser Frauen und solidarisieren mit ihnen! Auch jetzt sitzen mehrere Frauen im Gefängnis, unter anderen Nasrin Sotudeh. Sie ist die Anwältin, welche die Frauen der Revolutionstrasse, wo gegen den Schleierzwang demonstriert wird, vor Gericht verteidigt.
Als Zeitzeuginnen der Entstehung der Islamischen Republik und der damit verbundenen Einführung von frauenfeindlichen Sitten und Gesetzen in unserer Heimat, wissen wir Exil-Iranerinnen, wie schnell eine politische Gruppierung die Religion instrumentalisieren und diese durch ihre Netzwerke und Plattformen wie Moscheen und Vereine, verbreiten kann.
Wir haben das alles im Iran erlebt und größtenteils genau deswegen den Iran verlassen. Nun beobachten wir tagtäglich, dass auch in unserer neuen Heimat Deutschland die Verschleierung von Mädchen aller Altersstufen ein zunehmendes Phänomen in der Öffentlichkeit und sogar in staatlichen Schulen geworden ist. Wir, die in diesem Kulturkreis geboren und aufgewachsen sind, wissen genau, wie in Religionen und Ideologien durch Ängste und emotionale Abhängigkeiten vor allem Kinder beeinflusst, manipuliert und indoktriniert werden.
Wir Iranerinnen haben die Konsequenzen von Frühverschleierung bei Mädchen erlebt:
sie bewirkt – und das ist auch Sinn der Sache – dass sie sich von klein auf daran gewöhnen, damit sie diesen später nicht mehr ablegen können
die Sexualisierung ihres Alltags, raubt den Mädchen ihre Kindheit
nicht verschleierte Mädchen, z. T. im Kindergartenalter, werden als „Verführerinnen“ gebrandmarkt.
die Verschleierung ruft ein Minderwertigkeitsgefühl gegenüber gleichaltrigen Jungen hervor. Die Mädchen können sich nicht frei und spontan bewegen und sind nicht in der Lage, ohne Hindernisse alle Sportarten auszuüben. Sie können nicht in einer unbelasteten Umgebung mit den Jungen lernen, spielen und zusammenwachsen.
auch die Jungen lernen dabei, dass sie Mädchen überlegen sind, dass sie mehr Rechte haben und über sie bestimmen dürfen
Deshalb unterstützen wir die Forderung der Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES e.V. nach einem gesetzlichen Verbot des sogenannten „Kinderkopftuchs“ im öffentlichen Raum, vor allem in Schule und Ausbildungsinstitutionen für alle minderjährigen Mädchen.
Wir sind wie TERRE DES FEMMES e.V. der Auffassung, dass öffentliche Bildungseinrichtungen für alle Minderjährigen eine angstfreie Lernatmosphäre ermöglichen müssen, in der alles in Frage gestellt werden kann, und an diesen neutralen staatlichen Orten jegliche religiöse und ideologische Symbolik in alle Richtungen verboten sein muss. Nur so kann der Staat seinen Bildungsauftrag erfüllen und Kindern und Heranwachsenden Gleichbehandlung ermöglichen, sowie demokratisches Denken fördern.
Verletzungen der Menschenrechte im Namen einer Religion dürfen nicht geduldet werden. Uns geht es um den Schutz der Rechte der Mädchen, sowie ihrer freien und selbstbestimmten Entfaltung in der Gesamtgesellschaft. Wir wollen, dass Mädchen ohne Hijab und ohne Vollverschleierung groß werden – bei uns und anderswo.
Weil wir Feministinnen sind, setzen wir uns ein, gegen jegliche patriarchale Strukturen und Formen, die Frauen und Mädchen unterdrücken oder ausgrenzen. Uns ist auch bewusst, dass ein gesetzliches Verbot notwendig, aber nicht genug ist. Zusätzlich bedarf es der Aufklärung in Kindergärten bis hin zu in Universitäten, in den Familien bis zu den Beratungsstellen, in Arztpraxen bis zu Sportvereinen, von amtlichen Publikationen bis hin zu Massenmedien.
Wir Exil-Iranerinnen haben bei Null angefangen und uns bewusst für ein neues Leben in Deutschland entschieden. Wir schätzen die existierende Demokratie, den Säkularismus, die Gleichberechtigung, die wir in den gesellschaftlichen Strukturen und im Bildungssystem wiederfinden. In unserer Geburtsheimat haben uns diese Rechte die jeweiligen Herrscher nicht ermöglicht. Obwohl der Fundamentalismus mit seiner Totalität unser Leben verändert hat, sind wir keine Opfer, sondern schöpfen aus unserer Vergangenheit Stärke und Selbstbewusstsein.
Daher überlassen wir unsere Stimme keiner politischen Richtung. Im Gegenteil wir erheben unsere Stimme gegen die zunehmende Agenda von islamischen Fundamentalisten, ohne Angst zu haben vor rechten Kräften oder Parteien wie AFD. Vor allem ist uns eins bewusst: wenn wir unser Schicksal nicht selbst in die Hand nehmen, wenn wir unsere Aufgabe nicht selbst erledigen und wenn unsere Anliegen nicht selbst thematisieren, dann überlassen wir den Rechtspopulisten unsere Themen. Und dann riskieren wir, dass unsere Anliegen nicht in unserem Interesse, womöglich sogar gegen unser Interesse thematisiert werden.
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1. Aghdas Shabani, Hannover
2. Efat Mahbaz, Köln
3. Enssi Rafiee, Köln
4. Ferdos Dini, Köln
5. Giti Salami, Berlin
6. Hellen Vaziry, Köln
7. Jaleh Taleb Hariri, Berlin
8. Khatereh Karimi, Mönchengladbach
9. Mahshid Pegahi, Langen (Hessen)
10. Manijeh Erfanifar; Frankfurt am Main
11. Mitra Fazeli, Dortmund
12. Mojdeh Nourzad, Köln
13. Monireh Bradaran, Kronberg (Hessen)
14. Monireh Kazemi, Frankfurt am Main
15. Nassrin Amirsadeghi, Berlin
16. Parwin, Ebrahimi, Köln
17. Shabnam Fekr, Darmstadt
18. Shaghayegh Kamali, Berlin
19. Shahin Nawai, Berlin
20. Sima Rastin, Köln
21. Sorur Sahebi, Hannover
22. Turan Nazemi, Frankfurt am Main
23. Zohre Rahmanian, Hannover
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Kontakt: iran.women.solidarity@gmail.com