Bei Ehrenmorden handelt es sich um einen Brauch, der vor allem in den patriarchalischen Gesellschaften des Nahen Ostens, in Pakistan und in einigen Gebieten Lateinamerikas verbreitet ist. Schon vor der Entstehung des Islams findet man in der arabischen Welt Prämissen dazu. Das Ehrenverbrechen kommt in allen soziokulturellen Milieus vor, beruht auf keinerlei Gesetz und ist nicht eine Frage der Religion, da es von Personen unterschiedlicher Konfession verübt wird.

Diese grausame Sitte legitimiert die Tötung eines Mädchens oder einer jungen Frau durch ein Familienmitglied, wenn der Verdacht besteht, dass sie den Ehrenkodex der Familie verletzt haben könnte.

Die Kriterien, die einen solchen Kodex bestimmen, sind natürlich jeder Gesellschaft eigen. Doch kann festgehalten werden, dass jedes Verhalten, das die Jungfräulichkeit des Mädchens in Frage stellt (eingewilligte Sexualbeziehung, Vergewaltigung, Inzest, Gerüchte), die Tatsache, mit einem jungen Mann zusammen gesehen worden zu sein, eine als unanständig geltende Kleidung, ein spätes Nachhausekommen oder ein Telefongespräch mit einem Freund den Verdacht der Angehörigen schüren und sie zum Ehrenverbrechen führen können. Der Vater, ein Bruder, ein Cousin oder eine andere von der Familie bestimmte Person rächt die Familienehre, oft ein Minderjähriger, der mit einer nur geringen Strafe rechnen kann.

Es gibt Berichte von Ehrenmorden aus dem Vorderen und Mittleren Orient, von Pakistan und Indien bis Libanon und Türkei. Aber auch in Europa werden Frauen ermordet, weil sie nicht dem traditionellen Bild der Frau entsprechen wollen.

Nach einem UN-Bericht von 2000 werden jährlich mindestens 5000 Mädchen und Frauen in 14 Ländern Opfer von Ehrenmorden.

Verlässliche Zahlen, wie viele Frauen in Europa Ehrenmorden zum Opfer fallen, gibt es bisher nicht. Es fehlen Statistiken über diese Morde. Hinzu kommt, dass diese Morde auch vertuscht und verschleiert werden, damit sie nicht als Ehrenmorde zu identifizieren sind. Dazu werden die Todesfälle als Unfälle getarnt oder die Opfer auch zum Selbstmord getrieben.

Unter anderem fordert auch die Empfehlung Rec (2002)5 des Ministerkomitee des Europarats die Mitgliedstaaten auf, legistische Maßnahmen zur Bestrafung von Ehrverbrechen und die Teilnahme oder einen Beitrag zu Ehrenmorden zu treffen sowie Präventionsmaßnahmen (inklusive Informationskampagnen für die Bevölkerung und für Berufsgruppen, die in Kontakt mit Ehrverbrechen kommen könnten) einzurichten.

(Rechts)Lage in Europäischen Staaten:

(Stand: April 2006)

Österreich:

In Österreich gibt es keine Daten zu Ehrenmorden, auch keine fundierten Schätzungen.

Vorsätzliche Tötung einer Person verwirklicht den Tatbestand des Mordes (§ ۷۵ StGB), welcher mit Freiheitsstrafe von 10 bis 20 Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft werden kann. Ein geringe Strafdrohung ist bei Totschlag (§ ۷۶ StGB) vorgesehen: wer in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung eine andere Person tötet, ist mit Freiheitsstrafe von 5 bis 10 Jahren zu bestrafen. Die Gemütsbewegung muss nicht nur heftig sein, sondern auch “allgemein begreiflich”, vom OGH folgendermaßen definiert: ” Allgemein begreiflich ist eine heftige Gemütsbewegung dann, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlass und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand allgemein verständlich ist, das heißt, wenn ein Mensch von durchschnittlicher Rechtstreue sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsbewegung geraten.” Verurteilungen wegen Totschlags kommen – soweit überblickbar – nicht häufig vor, da die Rechtsprechung meist die allgemeine Begreiflichkeit der Gemütsbewegung verneint, insbesondere wenn eine “Verletzung der Ehre” Anlass zu dieser Gemütsbewegung und der Tat war.

Bekannte Fälle: In Österreich war der letzte allgemein bekannte Ehrenmord der Mord an der 20-jährigen, aus dem Libanon stammenden Layal im Tiroler Zillertal. Der 17-jährige Bruder der jungen Frau hat die Bluttat begangen. (April 2004)

Deutschland:

Ehrenmorde werden unter Mord subsumiert, in Einzelfällen unter Totschlag. Aufgrund einiger Anlassfälle in Berlin fand insbesondere in den letzten 2 Jahren ein Umdenken statt. Einige NGOs sind schon länger auf diesem Gebiet aktiv. 1996 bis 2005 wurden 49 Fälle bekannt.

Portugal:

Ehrverbrechen werden, wie andere Verbrechen, unter allgemeines Strafrecht subsumiert.

Griechenland:

Es gibt keine Organisation, die ausschließlich auf dem Gebiet tätig ist. Weiters liegen keine offiziellen Zahlen vor, es gibt jedoch einige dokumentiere Fälle von “crimes of passion”.

Zypern:

Über Ehrverbrechen gibt es kaum Diskussionen in der Öffentlichkeit – dies dürfte auch mit den Wertvorstellungen der zypriotischen Gesellschaft, die den den Ehrverbrechen zugrunde liegenden ähnlich sind, zusammen hängen.

Niederlande:

In den letzten Jahren gab es mehrere Fälle (lt. UN-Bericht mindestens 30). Es bestehen mehrere Initiativen auf Seite der Regierung, die Arbeit der Polizei wird als sehr fortschrittlich angesehen.

Großbritannien:

1997 – ۲۰۰۰ gab es mindestens 20 Todesfälle, daneben zahlreiche Maßnahmen von Regierungsseite gegen Zwangsheirat. Nach aktuellen Ehrenmordfällen bestehen jedoch vermehrte Maßnahmen, insbesondere der Polizei, um das tatsächliche Ausmaß zu eruieren.

Schweden:

3 Fälle von Ehrenmorden sind bekannt. Seitens der Regierung und von NGOs werden zahlreiche Maßnahmen gesetzt.

Finnland:

Ehrenmorde gelten als Tabuthema, was mit der geringen Einwanderer/innen/quote zusammenhängen könnte.

Bulgarien:

Das Thema wurde bis dato noch nicht behandelt, obwohl das Problem auch dort existiert.

Monaco:

Ehrverbrechen sind Teil des allgemeinen Strafrechts.

Rechtslage in Drittstaaten:

Argentinien, Bangladesh, Ecuador, Guatemala, Iran, Israel, Libanon, Syrien, Peru, Venezuela : Laut “Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on violence against women, its causes and consequences” bestehen Gesetze die “Ehre” als Verteidigungsgrund zulassen

Pakistan:

In Pakistan besteht die höchste Rate an Ehrenmorden weltweit, offiziell wurden allein im Jahr 2004 1200 Mädchen und Frauen im Namen der Ehre umgebracht (die Dunkelziffer dürfte höher sein). Eine Bestrafung der Täter findet kaum statt, im pakistanischen Recht gibt es Straffreiheit bei “Kompromiss” (= Verzeihung durch die Familie des Opfers). Verzeihung durch die Familie des Opfers ist bei Ehrenmorden so gut wie immer gegeben, da die Täter meist ebenfalls zur Familie des Opfers gehören. Es häufen sich auch “fake honour killings”, zB. Mord um einen anderen Mord zu vertuschen (nach dem Mord an einem Mann seine eigene Frau ermorden und behaupten sie hätten sexuelle Beziehungen gehabt) oder damit ein Mann Schadenersatz für die (ehrenhalber erfolgte) Tötung seiner Frau von der Familie eines anderen Mannes (des angeblichen Ehebrechers) verlangen kann. Der “Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on extrajudicial, summary or arbitrary executions” übte Kritik an der Straffreiheit des Täters, wenn ein “Kompromiss” geschlossen werden kann, da dies ein Freibrief für Ehrverbrechen ist.

Türkei:

Genaue Zahlen zu Ehrenmorden fehlen, im Südosten der Türkei ist jedoch ein starker Anstieg an Ehrenmorden zu verzeichnen. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Gewalt zwischen PKK und türkischem Militär beendet ist, und sich die Gewalt daher jetzt verstärkt innerhalb der Gesellschaft gegen Frauen richtet. Die Bestimmung, wonach Untreue als Provokation zum Mord galt, wurde aufgehoben, es wird jedoch nach wie vor “Affekthandlung” erfolgreich als Milderungsgrund geltend gemacht. Ehrverbrechen (im türkischen Strafrecht auch “crimes of tradition”) genannt, werden milder bestraft, ebenso ist eine Reduktion der Strafe um 1/8 bei Tötung eines/r (begründet verdächtigen) Ehebrecher/in durch einen nahen Angehörigen vorgesehen. 2002 wurde eine Kommission zur Abschaffung dieser Bestimmungen eingesetzt. Laut einer Studie des United Nations Population Fund werden vergewaltigte Mädchen angeblich gezwungen, ihren Vergewaltiger zu heiraten oder im Namen der Ehre umgebracht.

Jordanien:

Ehrverbrechen fallen unter den jeweiligen Straftatbestand, begünstigende Bestimmungen wurden aufgehoben. Laut “Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on violence against women, its causes and consequences” bestehen Gesetze die “Ehre” als Verteidigungsgrund oder “Provokation” als Rechtfertigungsgrund zulassen.

Ägypten:

Ehrverbrechen wurden kriminalisiert. Laut “Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on violence against women, its causes and consequences” bestehen Gesetze, die “Ehre” als Verteidigungsgrund zulassen.

Palästinensische Gebiete:

Laut “Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on violence against women, its causes and consequences” bestehen in der West Bank Gesetze die “Ehre” als Verteidigungsgrund zulassen; Ehrenmorde sind weit verbreitet.

Qatar:

Ehrverbrechen sind nicht existent, würden aber unter allgemeines Strafrecht fallen.

Brasilien:

Es gibt keine spezielle Gesetzgebung zu Ehrverbrechen, die meisten Gerichte lassen “Verteidigung der Ehre” nicht mehr als Rechtfertigung gelten. Laut “Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on violence against women, its causes and consequences” werden jedoch nach wie vor widersprüchliche Entscheidungen gefällt.

Malaysien:

Ehrverbrechen sind, wie andere Verbrechen auch, nach allgemeinem Sraftrecht zu beurteilen.

Saudi Arabien:

Die Kategorie der Verbrechen im Namen der Ehre existiert in Saudi Arabien nicht.

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