taz – Dass die Frauen das starke Geschlecht sind, hört man im Iran neuerdings immer häufiger. Im Haus würden sie sowieso schon alles bestimmen, an der Universität neuerdings die Mehrheit stellen und wohl bald auch im Beruf den Chef spielen wollen. Plötzlich gefallen sich Ehemänner mit neckischen Bemerkungen wie: “Wenn man mich fragt, was ich mir wünsche, sage ich, fragen Sie, was meine Frau sich wünscht. Das will ich dann auch.” Und dass die Scharia sowieso die Lasten den Männern aufbürdet, das wiederholen religiös orientierte Männer gebetsmühlenhaft. Wie kommt es zu diesem Reflex?
Vor zwei Monaten wurde Banafsheh, eine der Gründerinnen der Kampagne “Eine Million Unterschriften für die Gleichheit von Frauen und Männern vor dem Gesetz”, in die iranische Provinz Khuzistan eingeladen. Dort hatten sich Frauen zusammengefunden, um die Kampagne zu unterstützen. Nur wie? So fuhren fünf Teheraner Frauen gut tausend Kilometer weit ins Nomadengebiet, um die Gruppe über die Auswirkungen der Scharia zu informieren und um ihre Erfahrungen, wie und wo Menschen im öffentlichen Raum am leichtesten angesprochen werden können, weiterzugeben.
Allein dass diese Frauen bei den Teheranerinnen um Unterstützung nachsuchten, wurde als Erfolg gewertet, hieß es doch, dass sich auch an abgelegenen Orten herumgesprochen hatte, dass Frauen landesweit um ihre Rechte kämpfen. Und das, obwohl die Medien die Frauenkampagne seit ihrem Start im November 2006 systematisch ignorieren oder als fremdgesteuert schmähen.
Als Banafsheh und ihre Mitstreiterinnen aus Teheran eintrafen, warteten schon 25 Frauen auf sie, einige wurden von ihren Ehemännern begleitet. “Doch kaum hatten wir mit dem Seminar begonnen, schlug es gegen die Tür. Als einer der Männer öffnete, wurde ihm von einem Polizisten ein Gewehrkolben in den Bauch gerammt. Dann transportierten sie uns auf die Wache. Ich wurde als alte Nutte beschimpft!”
Gegen Mitternacht wurden die Teheranerinnen auf die Straße gesetzt, die Stadt war dunkel, der Bahnhof geschlossen. “Wir hatten Angst. Dann haben wir uns vorgestellt, wir würden auf einen Berg steigen, um den Sonnenaufgang zu sehen. Wir haben gesungen und gelacht, und so ist auch diese Nacht vorübergegangen.” Die anderen Frauen wurden am nächsten Morgen entlassen, die Männer blieben drei Tage in Haft und wurden übel zugerichtet. Dass Frauen für Gleichberechtigung kämpfen, können sogar iranische Polizisten nachvollziehen, selbst wenn sie es degoutant finden. Dass aber Männer sie dabei unterstützen, ist Verrat an der männlichen Ehre und gehört bestraft.
Es geht um Einschüchterung. Auch Zanan, einer eher moderaten Frauenzeitschrift, die seit 1991 allen Stürmen trotzte, wurde Anfang Februar die Zulassung entzogen, denn sie hatte über die Kampagne “Eine Million Unterschriften” informiert. Dabei ist die Herausgeberin Shahla Sherkat eine sehr fromme Frau, die nur im schwarzen Tschador aus dem Haus geht. Sie hält Reformen zugunsten der Frauen in der Islamischen Republik für möglich. Die Gleichberechtigung von Frau und Mann entspreche durchaus dem Geist des Korans.
Diese Haltung ist heute keine Ausnahme mehr, im Gegenteil, sie trifft in vielen muslimischen Ländern, aber auch in manchen muslimischen Gemeinschaften im Westen den Nerv der Zeit. Nicht nur im Iran sind die theologischen Hochschulen voll junger Frauen, die prüfen wollen, was im Heiligen Buch nun tatsächlich über die Rolle der Frau steht, wie die Verse in heutigem Licht verstanden werden könnten.
In westlichen Medien sind eher Frauenrechtlerinnen wie Necla Kelek oder Ayaan Hirsi Ali präsent, die den Islam generell als unvereinbar mit Frauenrechten verwerfen. Doch die Mehrheit der muslimischen Frauenrechtlerinnen bemüht sich, mit denselben Schriften, die stets zur Begründung ihrer Diskriminierung herangezogen werden, ihren Anspruch auf Gleichberechtigung zu untermauern. Die Reformbewegung, zu der diese Frauen gezählt werden können, strebt die Anpassung islamischer Regeln und Gesetze an die Erfordernisse der Gegenwart an, nach dem Muster: “Die Quellen der Scharia sind heilig, ihre Interpretation ist es nicht.” Der Reformislam ist das Scharnier, das Tradition und Moderne verbindet. Er erlaubt den jungen, besser ausgebildeten Frauen, Anerkennung für das von ihnen Erreichte zu verlangen – und sich trotzdem ihrer Familie und Herkunft nicht zu entfremden.
Die vom Koran postulierte Gleichwertigkeit von Männern und Frauen realisiert sich heute vornehmlich als gleicher Zugang zu Bildung. Und hier haben Frauen insbesondere im Iran viel erreicht. Landesweit liegt das Verhältnis von Männern und Frauen, die die Aufnahmeprüfung zur Universität geschafft haben, bei 46 zu 54. Doch das Regime steht unter Druck, die Jugendarbeitslosigkeit steigt. Jetzt soll auf das altbewährte Rezept “Der Arbeitsplatz der Frau ist in der Familie” zurückgegriffen und in den Unis eine Quotierung zugunsten der Männer eingeführt werden – 50 zu 50.
Am Internationalen Frauentag wird denn auch die Kritik an dieser Männerquote auf der Beschwerdeliste ganz oben stehen. Für die Regierung wird der rückwärtsgewandte Versuch der Problemlösung nicht einfach. Denn die Frauen argumentieren mit dem Koran. Dort steht, dass Frauen wie Männer Wissen suchen sollen, und zwar von der Wiege bis zur Bahre.
Die Statistik über die Bildungserfolge von Frauen hat einen Haken. Auch mit dem Diplom in der Hand ist die Aussicht auf einen Arbeitsplatz unsicher. Nach Schule und Militär suchen Männer ihre Chance deshalb oft direkt im Basar – denn um endlich von zuhause auszuziehen, zu heiraten, Sexualität auszuleben, brauchen sie Geld. Der Mann muss Wohnung und Auto in die Ehe einbringen und den Brautpreis zahlen – ohne den gibts keine Hochzeit.
Dennoch muss die Gesellschaft zur Kenntnis nehmen, dass Frauen, wenn man sie lässt, durchaus mit den Männern konkurrieren können. Dass sie hartnäckig und mutig kämpfen können, zeigt ihre Kampagne. “In einigen Städten gehts voran, in anderen stagnierts”, resümiert Banafsheh. “Die Polizei versucht überall, öffentliche Auftritte von uns zu verhindern.” 43 Aktivistinnen wurden seit dem Start der Kampagne vorgeladen, 10 zu Gefängnisstrafen verurteilt, andere gegen Kaution entlassen. Das verlangsamt zwar das Sammeln – die eine Million Unterschriften, die innerhalb eines Jahres dem Parlament vorgelegt werden sollten, sind noch nicht beisammen. Aber die Kampagne geht weiter, sie hat sich außerhalb der Hauptstadt nur aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
Ständige Revolution
Der Glanz des Anfangs ist verflogen. Doch immerhin, der Bewusstseinswandel, der sich im Iran in der jüngeren Generation vollzieht, wird vom regierenden Establishment zur Kenntnis genommen. Im Parlament liegen inzwischen Gesetzesvorlagen für eine Angleichung des Blutgelds (wenn eine Frau durch die Schuld eines anderen zu Tode kommt, erhält ihre Familie bislang als Kompensation nur die Hälfte dessen, war für einen Mann gezahlt werden muss) und eine Veränderung des Erbrechts zu Gunsten der Frauen. Ajatollah Chamenei, der geistige Führer, hat diese Veränderungen religiös legitimiert, sie können also das Parlament passieren.
Durch solche kleinen Zugeständnisse wird etwas Entscheidendes deutlich: Es ist nicht so sehr die Religion, die den Fortschritt behindert. Der Islam erlaubt, manche sagen, er fordert sogar, dass in jeder Epoche die heiligen Schriften neu und zeitgemäß interpretiert werden – Gelehrte sprechen von “ständiger Revolution”. Es ist eher das Denken in den Strukturen der Agrargesellschaft, das die notwendigen Veränderungen verlangsamt. Das Festhalten an der Tradition und das Wissen, dass eben das auf Dauer nicht möglich sein wird, sind es, was die Männer zum Seufzen bringt – halb resigniert, halb einsichtig, schließlich haben auch sie Töchter.